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Klick-Chemie: „Unsere Reagenzgläser sind lebende Zellen“

27.01.2025

Andrea Rentmeister erforscht, wie man molekulare Prozesse in Zellen sichtbar machen und gezielt steuern kann.

„Die klassische Chemie arbeitet mit Reagenzgläsern und Rundkolben. Wir gehen einen Schritt weiter: Unsere Reagenzgläser sind lebende Zellen“, erklärt Professorin Andrea Rentmeister, die seit Anfang 2024 den Lehrstuhl für Organische und Biologische Chemie an der Fakultät für Chemie und Pharmazie der LMU innehat. Ihre Arbeit bewegt sich im Grenzgebiet zwischen Chemie und Biologie – mit dem Ziel, fundamentale Prozesse in der Zelle zu entschlüsseln und aktiv zu kontrollieren. „Wir versuchen, Biomoleküle wie die mRNA mithilfe chemischer und biologischer Methoden zu verändern, um sie besser analysieren zu können oder ihre Eigenschaften zu verbessern.“

Schaut man in eine Zelle, sieht man zunächst nicht viel. Bringt man jedoch gezielt künstliche Markierungen an bestimmten Biomolekülen an, lassen sich diese beispielsweise unter dem Mikroskop besser beobachten. Mit chemischen Modifikationen kann man aber auch die Funktion von Biomolekülen verändern, etwa indem man ihre Aktivität mithilfe von lichtabhängigen Markern ein- oder ausschaltet.

Wissenschaftlerin in einem Labor mit weißem Kittel, lächelt freundlich vor Regalen mit Laborutensilien im Hintergrund.

Professorin Andrea Rentmeister

© LMU/LC Productions

Maßgeschneiderte Moleküle

Das ist jedoch leichter gesagt als getan. „In einer Zelle gibt es unzählige Komponenten, die miteinander reagieren können“, beschreibt die Chemikerin. „Wenn ich ein neues Molekül hinzufüge, muss ich berücksichtigen, dass irgendein anderes Molekül damit reagieren könnte – das ist extrem komplex.“ Die Lösung ist ein Verfahren, das als Klick-Chemie oder orthogonale Chemie bezeichnet wird. Dabei werden sogenannte bioorthogonale Gruppen entwickelt, die im Idealfall ausschließlich miteinander und mit nichts anderem in der Zelle reagieren. „Die bioorthogonale Chemie spannt damit eine völlig neue Dimension auf“, sagt Rentmeister. „Man baut gewissermaßen ein molekulares Schloss und einen dazu passenden Schlüssel. Die beiden klicken miteinander, reagieren aber mit nichts anderem.“

Im Zuge ihrer Doktorarbeit forschte Rentmeister an RNA im Zusammenhang mit In-vitro-Evolution – „ein faszinierender Prozess, bei dem Moleküle mit gewünschten Eigenschaften gewissermaßen ‚herausgezüchtet‘ werden.“ Später, in Kalifornien, forschte sie bei Frances H. Arnold, die für ihre Arbeiten zur sogenannten gerichteten Evolution von Proteinen 2018 einen Nobelpreis erhielt. In ihrer eigenen Arbeit versuchte Rentmeister, die RNA- und die Protein-Ebene zu verknüpfen. „Man will ja nicht nur der Chefin nacheifern, sondern auch sein eigenes Ding machen. Bei mir ging es darum, Proteine dahingehend zu verändern, dass wir damit RNA modifizieren können.“

Mit der Zeit habe sie dann immer mehr chemische Ansätze in ihre Forschung integriert. Nach ihrer Postdoc-Zeit in Kalifornien war Rentmeister Assistenzprofessorin an der Universität Hamburg und vor dem Ruf an die LMU mehrere Jahre Professorin für Biologische Chemie und Biomolekulare Markierungschemie am Institut für Biochemie der Universität Münster.

Grundlagenforschung mit hohem Potenzial 

Andrea Rentmeister versteht sich selbst als Grundlagenforscherin. Ihr primäres Ziel ist es, chemische und biologische Grundlagen zu entschlüsseln. Trotzdem hat ihre Arbeit womöglich auch ein hohes Anwendungspotenzial – etwa in der mRNA-basierten Krebstherapie: Damit könnte man irgendwann selektiv Effekte in den gewünschten Zellen erreichen, ohne andere Zellen zu beeinflussen, was die Sicherheit und Effizienz von mRNA-basierten Therapien erheblich steigern würde. Bis dahin ist es laut Rentmeister aber noch ein weiter Weg. „Momentan arbeiten wir daran, solche Prinzipien in Modellorganismen wie dem Zebrafisch zu etablieren, um ihre Umsetzbarkeit zu testen.“

Fragt man die Chemikerin, welches Thema sie gerade am meisten begeistert, fällt ihr die Entscheidung schwer: „Ich habe nur Lieblingsprojekte!“ Besonders im Fokus steht aktuell die zellselektive Aktivierung der Translation, „ein Thema, das wir im Rahmen eines neuen DFG-Projekts bearbeiten.“ Außerdem beschäftigt sie sich intensiv mit Epigenetik und Epitranskriptomik, also Modifikationen von DNA und RNA, die die Aktivität und Regulierung von Genen beeinflussen. „Unser Ziel ist es, Moleküle zugänglich und analysierbar zu machen, die in der Biologie bisher schwer fassbar waren.“ Auch hier sind chemische Werkzeuge sehr gefragt.

Ideen fallen nicht vom Himmel

Ob es im Verlauf ihrer Karriere schon einmal so etwas wie einen Heureka-Moment gegeben habe? Ja, sagt die Chemikerin, immer wieder, allerdings kämen Geistesblitze nicht aus dem Nichts: „Der Zufall begünstigt nur den vorbereiteten Geist, so hat es Louis Pasteur ausgedrückt. Man beschäftigt sich sehr lange intensiv mit einem Thema und dann kommt – meistens in einem Moment, in dem man gar nicht damit rechnet – eine Erkenntnis. Der Heureka-Moment fühlt sich dann zwar plötzlich und unerwartet an, er ist aber auf dem Nährboden jahrelanger Forschung herangereift.“

Dafür ausschlaggebend sei auch das richtige Arbeitsumfeld. Die Fakultät für Chemie und Pharmazie der LMU biete ihr dafür ideale Bedingungen. Am benachbarten Genzentrum und den umliegenden Instituten forschen besonders viele Arbeitsgruppen mit einem Fokus auf Nukleinsäuren. In ihrem Fachbereich sei die Dichte an exzellenten Forschenden mit verschiedenen fachlichen Hintergründen hier besonders hoch. „Beim informellen Gespräch in der Kaffeeküche erfährt man eben auch Dinge, die nicht in den Publikationen stehen, gewinnt neue Perspektiven und Eindrücke und kommt mitunter sogar auf spannende neue Forschungsideen.“

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